Für den Blog des Coaching-Kongresses stellt Karsten Drath ein einfaches und dennoch nicht triviales Modell der Resilienz vor: die sieben Sphären der Resilienz. Damit wendet er sich insbesondere an Manager, um die Komplexität der Resilienzforschung adäquat abzubilden.

Die sieben Sphären der Resilienz

Viele Forscher beschäftigen sich seit langem in aufwendig angelegten Studien mit der Frage, wie es Menschen unter schwierigsten Lebensumständen gelingt, ihr volles Potenzial zu entfalten. Sie haben Schutzfaktoren herausgearbeitet, die es Menschen ermöglichen, sich von Krisen besser und schneller zu erholen als andere. Für unsere Arbeit mit Managern benötigten wir ein einfaches und zugleich umfassendes Modell, das die Komplexität der vorliegenden Forschungserkenntnisse zur Resilienz minimiert und dennoch nicht trivial ist. Wir haben die verschiedenen Faktoren seelischer Widerstandsfähigkeit zu einem räumlichen Konstrukt zusammengefasst, das wir als die „Sphären individueller Resilienz“ bezeichnen. Es dient dazu, Strategien zum Erhalt der Resilienz von Führungskräften zu entwickeln sowie zu trainieren, damit sich schwierige Situationen oder Krisen weniger schwerwiegend für den betroffenen Manager auswirken oder ihn im Idealfall sogar stärken. Entwickelt wurde das Kugelsphären-Modell unter Zuhilfenahme fundierter Konzepte mehrerer anerkannter Psychologen, Psychiater, Soziologen, Biologen und Hirnforscher. Näheres zu deren Studien und Erkenntnissen können Sie gerne in meinem Buch „Resilienz in der Unternehmensführung“ nachlesen.

Das Kugelsphären-Modell

Die sieben ineinander ruhenden Kugelschalen, mit von innen nach außen zunehmendem Radius symbolisieren, dass die äußeren Ebenen der Resilienz, d. h. Sinn und authentische Beziehungen, leichter vom Individuum zu beeinflussen sind als der innere Kern, d.  h. die eigene Biografie und die Persönlichkeit.

7 Sphaeren der Resilienz

Grafik © Karsten Drath

Die Sphäre „Persönlichkeit“

Die Stressresistenz eines Menschen ist eine Persönlichkeits-eigenschaft, die zur einen Hälfte genetisch bedingt ist und zur anderen Hälfte von der frühkindlichen Prägephase eines Menschen abhängt. Von allen Sphären der Resilienz ist die Sphäre „Persönlichkeit“ am wenigsten bewusst beeinflussbar. Grundlegende Eigenschaften wie Introversion bzw. Extraversion oder die emotionale Stabilität eines Menschen sind nur in sehr engen Grenzen willentlich dauerhaft zu ändern. Bei der Sphäre „Persönlichkeit“ geht es vor allem darum, die eigenen Ecken und Kanten besser kennenzulernen, um sich selbst besser steuern zu können. Schon die Inschrift über dem Orakel von Delphi lautete: Erkenne dich selbst. Genau darum geht es bei dieser Ebene, unterstützt durch Selbstreflexion, Feedback von außen und durch Instrumente der Persönlichkeitspsychologie.

Die Sphäre „Biografie“

Die Persönlichkeit eines Menschen ist untrennbar mit seiner Vergangenheit verbunden, was wiederum Auswirkungen auf seine Einstellung zu Herausforderungen der Gegenwart und Erwartungen an die Zukunft hat. Grundlegende, unbewusste Entscheidungen das Leben betreffend, in der Psychologie auch Glaubenssätze genannt, können uns im späteren Berufsleben in die Quere kommen. Die Strategien, die in Kinder- und Jugendtagen effektiv waren, um Zuwendung zu erhalten, sind meist auch ein effektiver Antrieb für die spätere Karriere, allerdings zu einem hohen Preis. Viele Manager, mit denen wir arbeiten, haben Glaubenssätze verinnerlicht wie z. B. „Wenn ich nicht alles gebe, werde ich nicht akzeptiert“. Diese tiefliegende Überzeugung setzt einerseits ungeheure Kräfte frei, andererseits kann sie sich auf Dauer negativ auf das soziale Leben, die nötige Regeneration und die persönliche Zufriedenheit eines Menschen auswirken. Solche Glaubenssätze gilt es zu überdenken und gegebenenfalls mit einem Update zu versehen. Ein anderer Aspekt der Biografie sind die Krisen und schwierigen Zeiten, die ein Mensch bereits in seinem Leben bewältigt hat. Sie sind wichtige Ressourcen, wenn es darum geht, erneut mit belastenden Situationen konstruktiv umzugehen und sich davon nicht unterkriegen zu lassen.

Die Sphäre „Haltung“

Die innere Haltung eines Menschen beeinflusst seinen Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. Sie entscheidet letztlich darüber, ob eine unvorhergesehene Entwicklung als Überforderung oder aber als Herausforderung gesehen wird. Die innere Haltung gibt den Gedanken und Gefühlen einer Person quasi eine Richtung und hat damit Auswirkungen auf die Qualität des Handelns. Sieht ein Manager sich als „Gestalter“, der seines eigenen Glückes Schmied ist? Oder fühlt er sich eher als „Opfer“, das sich selbst bedauert und die Verantwortung für seine Misere bei anderen sieht? Eine solche Opferhaltung drückt sich in der verbalen und non-verbalen Sprache aus, vermindert die eigene emotionale Souveränität sowie das Denkvermögen und schwächt damit auch die Qualität der Entscheidungen. Und dennoch ist es nicht leicht, sich aus einer Opferhaltung zu lösen. Das wissen wir alle. In der Sphäre „Haltung“ geht es daher darum, Strategien zu entwickeln, um seine Haltung bewusst konstruktiv beeinflussen zu können.

Die Sphäre „Ressourcen“

Ressourcen sind einfache, schnell wirksame Strategien, um das eigene Wohlbefinden gezielt zu verbessern. Sie sind der Erste-Hilfe-Kasten für Führungskräfte und alle, die dann daran arbeiten möchten, sich zu erden, Kraft zu tanken, eine Distanz zu den Alltagsproblemen zu schaffen und sich so für schwierige Situationen zu wappnen. Die Bandbreite der möglichen Ressourcen, aus denen man neue Energie ziehen kann, ist dabei groß und individuell sehr unterschiedlich. Sie reicht vom Sport über klassische Musik bis hin zu Aktivitäten. Ressourcen müssen meist erst erarbeitet und danach regelmäßig angewendet werden, damit sie positiv wirken können.

Die Sphäre „Hirn-Körper-Achse“

Der Mensch besteht aus Körper und Geist. Beide sind eng miteinander verbunden und beeinflussen sich wechselseitig. Sie sollten deshalb gleichermaßen Beachtung finden. Dies gilt vor allem für Führungskräfte. Sie führen oft, bedingt durch lange Arbeitszeiten und häufiges Reisen, einen Lebenswandel, der einem sorgsamen Umgang mit dem Körper zuwiderläuft.
Die Arbeit an der Hirn-Körper-Achse beginnt bei der Schlafmenge und der Qualität der Ernährung und führt über verschiedene Formen der körperlichen Aktivierung, wie beispielsweise Walken oder Yoga bis hin zu Achtsamkeits- und Meditationsübungen. Ebenfalls gehört die Messung von körperlichen Stressindikatoren dazu, z. B. der Herzraten-Variabilität oder des Ruhepulses, mit dem Ziel, die eigene Selbstwahrnehmung zu schärfen. Die Körperebene ist besonders gut dafür geeignet, kurzfristig eine gesunde innere Distanz zu den Geschehnissen des Alltags aufzubauen. Sie senkt so das Erleben von negativem Stress. Die Arbeit in dieser Sphäre konzentriert sich darauf, mithilfe des Körpers ein größeres Maß an Ausgeglichenheit sowie mehr gedankliche Klarheit zu erzielen.

Die Sphäre „Authentische Beziehungen“

Mit wem sprechen Sie, wenn Ihnen etwas „an die Nieren“ geht? Wer bildet Ihren ganz persönlichen Aufsichtsrat? Vertrauensvolle, ehrliche Beziehungen sind gerade für Führungskräfte wichtig, da sie hier nicht die Rolle des stets souveränen Entscheiders mimen müssen, der zu allen Problemen stets eine Lösung parat hat. Authentische Beziehungen zu Freunden, vertrauten Kollegen, Mentoren oder einem Coach geben einem Manager die Gelegenheit, auch einmal seine Zweifel oder Ängste zeigen dürfen. Das macht solche Beziehungen ausgesprochen wertvoll. Von vielen erfolgreichen Managern wird die Tragweite solcher authentischen Beziehungen unterschätzt. Der Pflege solcher Kontakte wird eine entsprechend niedrige Priorität eingeräumt – bis dann irgendwann keine Freunde mehr da sind, die noch Zeit mit einem verbringen wollen, besonders wenn es hart auf hart kommt. In dieser Sphäre geht es daher darum, das Bewusstsein für die stabilisierende Wirkung dieser sog. Critical Leader Relationships zu schaffen.

Die Sphäre „Sinn“

Beruflich engagierte und erfolgreiche Menschen führen meist ein Leben auf der Überholspur. Sie leisten viel, nehmen jede Menge Unannehmlichkeiten für ihren Job in Kauf, verzichten oftmals auf ein erfülltes Privatleben. Nur wer wirklich einen Sinn in dem sieht, wofür er sich engagiert – für den sich also sein Handeln richtig und bedeutsam anfühlt – kann beruflichem Druck und der Anfälligkeit von Lebenskrisen trotzen. In der Sphäre „Sinn“ geht es folglich darum, die persönlichen Werte zu erarbeiten und herauszufinden, was wirklich bedeutsam ist im Leben des Einzelnen.

Kognitives und emotionales Fitnesstraining

Resilienz, d.h. die Fähigkeit mit Druck und Rückschlägen konstruktiv umzugehen, lässt sich trainieren wie ein Muskel. Je häufiger und intensiver wir dieses seelische Fitnessprogramm absolvieren, desto besser sind wir gegen Krisen und Rückschläge gewappnet. In meinem Workshop auf dem Erdinger Coaching-Kongress 2017 wird es um geeignete Trainingseinheiten für die Arbeit mit Ihren Klienten gehen.

Karsten Drath

Karsten Drath führte als Unternehmensberater und Manager internationaler Einheiten bei Konzernen wie Accenture, Bombardier und Dell große Unternehmensbereiche durch Veränderungsprozesse und war auch selbst von Umwälzungen betroffen. Parallel zum äußerst fordernden Beruf absolvierte er außerdem über viele Jahre Marathons und Triathlons bis hin zum berühmten Ironman-Wettbewerb. Seit 2006 unterstützt er Top Manager und ihre Teams in ihrer Entwicklung. Drath ist Diplom-Ingenieur, Executive MBA, Master Level Coach (EMCC) und Psychotherapeut (HPG). Er arbeitet in Deutsch und Englisch und lebt in der Nähe von Heidelberg

 

Auf dem Coaching-Kongress hält er am 2. Kongresstag um 11:45 Uhr den Vortrag „Executive Coaching mit den 7 Sphären der Resilienz: Ein neues Modell für bessere (Selbst-) Führung“.

Mehr Details zum Vortrag finden Sie hier.