Blaue DatenwolkeProf. Dr. Claas Triebel entwirft in seinem Blogbeitrag für den Coaching-Kongress Zukunftsszenarien für ein digitalisiertes Coaching. Denn das Internet verändert alles und wird auch das Coaching verändern. Wir wissen nur nicht, auf welche Art und Weise dies geschehen wird. Wenn wir in andere Branchen blicken, dann sehen wir jedoch, dass diejenigen verlieren, die Rezepte aus der analogen Welt in die digitale Welt übertragen. Digitale Transformation im Coaching kann weit mehr bedeuten.

Das Internet verändert alles. Und das auf eine Weise, die wir nur sehr schwer voraussagen können.
Wir können Branche für Branche sehen als wie fatal falsch sich manche Fehleinschätzung von Branchenexperten hinsichtlich der Auswirkungen des Internets auf ihre jeweilige Branche auswirken würden.
Einige Beispiele: jahrelange lag die Musikindustrie darnieder, weil sie das Internet nicht als Marktplatz verstanden hat, sondern eine Art Räuberhöhle, in der jeder nur alles umsonst zusammengaunern möchte. Banken und Versicherungen dachten lange, dass es doch wichtig sei einen seriösen Berater (früher sogar Bankbeamten) am Tresen zu haben, der einen hinsichtlich der besten Anlagestrategie unabhängig berät. Verlage klammern sich noch immer daran, dass Leser vor allem das sogenannte haptische Erlebnis des Buches wesentlich sei und versuchen zum Teil noch immer den digitalen Wandel zu bremsen.
Es ist wie in allen radikalen Veränderungsphasen: wir wissen zwar nicht, wie es genau weitergehen wird, aber sehr, sehr vieles wird sich ändern. Und die meisten derer, die sich an das Althergebrachte klammern, werden dabei verlieren.

Den schlesischen Webern hat ihr Widerstand nichts geholfen

Den schlesischen Webern hat es nicht geholfen sich gegen industrielle Webstühle zur Wehr zu setzen. Industrielle und technologische Revolutionen kümmern sich nicht um die persönlichen Bedürfnisse Einzelner. So tragisch das im Einzelfall sein mag.
Nun ist die Frage, was sich für unseren Bereich verändern wird, wenn alles immer digitaler wird. Wenn nicht nur digitale Medien in unseren Alltag treten, sondern eine digitale Transformation stattfindet.
Viele Gedanken kreisen darum, dass digitalisiertes Coaching einfach bedeutet, dass Coaching-Prozesse künftig nicht nur live und in unmittelbarer Begegnung stattfinden werden, sondern auch in dreidimensionalen Coaching-Räumen, in denen wir das Gefühl haben Coach und Coachee säßen sich unmittelbar gegenüber.
Ich weiß nicht, wir wissen nicht, niemand weiß, ob so die Zukunft des Coachings aussehen wird. Es kann sein. Aber es ist ein Szenario, das nur linear weiterdenkt, was es ohnehin schon gibt: Coaching live – Coaching per Telefon – Coaching per Skype – dann eben Coaching 3D.
Ich finde dieses Szenario nicht sonderlich kreativ – und ich denke, dass es zu kurz greift. Denn dann würde sich nicht viel ändern in der Coaching-Welt. Und das halte ich für unwahrscheinlich.

Die digitale Transformation ist mehr als die Übersetzung der analogen in digitale Welt

Vielleicht geht der digitale Wandel aber noch viel weiter? Vielleicht wird es in ein paar Jahren Apps geben, die nicht nur die körperliche Fitness überwachen, sondern auch Menschen in ihren Stimmungen begleiten und ihnen wichtige Hinweise dafür geben, wie sie sich verhalten können um zufriedener zu sein, um Konflikte besser lösen zu können um sich beruflich besser zu orientieren. Apps, die wir am Handgelenk oder in der Hosentasche tragen, programmiert mit psychologischem Wissen, mit algorithmisierter Beratung gewissermaßen. Einem großen Teil der Coaches würde es dann so gehen wie es vielen Beschäftigen in anderen Branchen geht, durch die der Orkan der Digitalisierung gefahren ist: sie wüssten nicht mehr, was sie der Digitalisierung entgegenzusetzen haben.
Das mag man für abwegig halten, aber vor wenigen Jahren dachte man auch nicht, dass ein menschlicher Schachspieler jemals vom Computer besiegt werden könnte. Man mag einwenden, dass Menschen aber die unmittelbare Begegnung mit realen Menschen doch zu schätzen wüssten und diese nicht durch Algorithmen und Apps ersetzt werden könne. Das ist richtig.

Wissenschaft um Coaching zu rechtfertigen

Aber: um nachzuweisen, dass die unmittelbare Begegnung im Coaching wirksamer ist als der Einsatz von Apps, brauchen wir die wissenschaftliche Wirksamkeitsforschung. Und diese steckt leider noch immer in den Kinderschuhen. Bislang handelt es sich um eine Glaubensfrage: wir glauben, dass die unmittelbare Begegnung wichtig ist. Coachees mögen jedoch künftig etwas anders glauben: nämlich, dass so eine Begegnung ganz schön teuer ist im Vergleich zu einer Coaching-App mit einem Abo für 4,99 im Monat.
Darüber hinaus: wenn wir entgegenhalten, dass Menschen die unmittelbare Begegnung schätzen – warum sollten sie dann in virtuelle dreidimensionale Coaching-Räume gehen?
Wenn One-To-One, dann richtig und wenn digital, dann vollkommen digital.
Es gibt viele Hinweise darauf, dass dies bislang in allen Branchen galt, die sich digitalisiert haben. Ich glaube nicht, dass der Bereich Coaching hier eine Ausnahme darstellen wird.

Prof. Dr. Claas Triebel

Prof. Dr. Claas Triebel, Psychologe und Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule für angewandtes Management Erding, wird als einer der Keynoter den Coaching-Kongress 2016 eröffnen. Sein Standpunkt Pro-Digitalisierung, den er am 1. Kongresstag, 25. Februar 2016 um 10:00 Uhr in seinem Vortrag „Alles wird digital. Alles wird anders“ vertreten wird, wird von Dr. Karl Kreuser als Vertreter des analogen Coachings erwidert werden.

Details zum Vortrag finden Sie hier.