Top Secret - Geschäftsmann mit Finger vor Mund

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Könnte ein Coachee seinem Coach überhaupt persönliche Themen anvertrauen, wenn die Vertraulichkeit nicht gewährleistet wäre? Aber ist Vertraulichkeit auch wünschenswert, wenn es für den Coachee von Vorteil wäre, Informationen preiszugeben? Thomas Webers betrachtet das Thema Vertraulichkeit im Coaching in seinem Blogbeitrag aus verschiedenen Blickwinkeln.

Stellen wir einmal ein Gedankenexperiment an: Vertraulichkeit ist essenziell wichtig im Coaching. Da wird jeder zustimmen. Wie sonst sollte sich ein Klient öffnen und auch über Schwierigkeiten, Ängste, Enttäuschungen und Konflikte sprechen können? Wenn solche intimen Informationen herum erzählt würden, wäre das peinlich. Man würde sich entblößt fühlen und sich schämen.

Allerdings kann es im Coaching auch um Potenzial-Entwicklung gehen. Ist Vertraulichkeit dann auch so wichtig? Wir würden sozusagen die Schokoladenseite des Coaching-Klienten zu Gesicht bekommen und könnten zuschauen, wie im Coaching „Muskelaufbautraining“ betrieben würde. Und unser Klient: Fühlte er oder sie sich nicht bewundert? Wäre sie oder er nicht stolz? – Von wegen: peinlich …

Keine Sorge, ich will nicht fundamentale Persönlichkeitsrechte infrage stellen. Aber ist es nicht interessant, wie ein solcher Perspektivenwechsel zu diskrepanten Ergebnissen kommen kann? Vertraulichkeit erwarten wir nicht nur im Coaching, sondern ebenfalls und zurecht in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens. Sie gibt uns die notwendige Sicherheit. Vertrauen reduziert Komplexität, so schon Niklas Luhmann, es lebt sich dann entspannter.

Wenn wir auch nicht wissen, was so alles unter dem Siegel der Vertraulichkeit von Mund zu Ohr und weiter wandert … Manchen ist Vertraulichkeit auch gar nicht so wichtig: „Ich habe nichts zu verbergen“, sagt gar mancher und postet auch noch so intime Details in sozialen Netzwerken. Schließlich meint es der Große Bruder ja nur gut mit uns! Wenn wir auch nicht immer sicher sein können, dass das, was der gut findet, auch wir gut finden werden.

Was findet denn eine Personalabteilung gut, wenn sie sich neugierig beim Coach erkundigt: „Na, wie macht sich denn unser Herr Müller?“ Und wie reagiert sie, wenn sie zum Schluss des Coachings die Kündigung von Herrn Müller auf den Tisch bekommt? Darf sie dann zurecht ärgerlich werden? Den Mitarbeiter als undankbar und den Coach als unfähig bezeichnen? Oder darf sie froh sein, weil sich jetzt die Dinge für alle Seiten klären und konstruktiv lösen lassen?

Ist es übergriffig und verletzt es die Vertraulichkeit, wenn sich die Personalabteilung beim Klienten nach dem Coaching-Verlauf erkundigt, weil sie Sorge hat, der Coach manipuliere den Klienten? Hat das Unternehmen nicht eine Fürsorgepflicht? Und kann Vertraulichkeit als Deckmantel nicht auch missbraucht werden?

Vielleicht sollten wir weniger auf Vertraulichkeit und mehr auf Transparenz setzen? Wie wird im Unternehmen denn über Coaching kommuniziert? Redet man übereinander oder miteinander? Gibt es Drei- oder Vierecks-Kontraktgespräche, Shadowing, 360-Grad-Feedbackprozesse, münden Einzel-Coachings in Teamentwicklungsprozesse? Oder munkelt man hinter vorgehaltener Hand: „Der muss ins Coaching, seine letzte Chance“? Was im Coaching aber geschieht, weiß keiner: Black Box.

Es ist eine Kulturfrage. Wie sehen und bewerten wir die Welt? Welche Spielregeln gelten im Unternehmen? Welche Stücke bringen wir auf der Unternehmensbühne zur Aufführung: Dramen, Tragödien, Intrigen? Oder Lustspiele, Komödien …? Wenn Coaching im geheimen Kämmerlein stattfindet, bleibt das Publikum ausgesperrt. Das kann gut sein, das Publikum kann grausam sein. Es kann aber auch schlecht sein, weil das Publikum auch anspornen und unterstützen kann.

Ich bin schon gespannt und freue mich sehr auf die Podiumsdiskussion zum Thema am 26. März 2015 auf dem Coaching-Kongress in Erding!

Thomas Webers

 

Thomas Webers ist neben seiner Tätigkeit als selbstständiger Coach auch Journalist, Redakteur und Publizist sowie Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen. Am 1. Kongresstag um 17:00 leitet er die Podiumsdiskussion „Zwischen Vertraulichkeit und Firmeninteressen“.

Details zur Podiumsdiskussion finden Sie hier.